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Heilige Schriften - Tagebuch der Religionen

 

Schrift ist etwas ganz Besonderes. Schreiben können, Gedanken, Traditionen aufschreiben – etwas der Nachwelt auf dieser Weise überliefern, ist großartig. Und das haben manche Kulturen erkannt. Es sind im Laufe der Zeit auch Schriften entstanden, die für große Gruppen von Menschen äußerst wichtig geworden sind und darum „Heilige Schriften“ genannt werden. Bevor Menschen begannen, ihre Erfahrungen mit Gott/Göttern aufzuschreiben, hat man sie mündlich weitererzählt und tradiert. Die Niederschrift begann (mit Ausnahme des Daodejing) im Westen früher als in Asien.

 

Die Heiligen Schriften (als Schriften - nicht mündlich [!] siehe unten) der Religionen mit den meisten Anhängern sind (in chronologischer Reihenfolge der Entstehung):

 

  • Daodejing (Daoismus) (4./3. Jh. v. Chr.),
  • das Alte Testament/Tora (Judentum) (3 v.-1. Jh. n. Chr.),
  • das Neue Testament (Christentum) (2.-3. Jh. n. Chr.),
  • Veden und Puranas (Hinduismus) (5./6. Jh. n. Chr.),
  • der PaliKanon / Tripitaka (Sanskrit bzw. Tipitaka (Pali) (Buddhismus) (5./6. Jh. n. Chr.),
  • der Koran und Ahadith (Islam) (ab 7. Jh. n. Chr.).

 

 

Was kennzeichnet Heilige Schriften? (Nicht jeder Punkt trifft auf alle Schriften gleichermaßen zu!):

 

1. Heilige Schriften sind in einem langen Zeitraum entstanden – sie konzentrieren in ihrer Zusammenstellung unterschiedlichster Traditionen und Schriften Menschheitswissen (Veden, die verschiedenen Traditionen des PaliKanon, Altes Testament).

 

2. Autoren heiliger Schriften sind vielfach kaum mehr erkennbar. Nicht die Autoren oder die „Schulen“ sind für die Menschen wichtig geworden, sondern das, was sie aufgeschrieben haben (Veden, PaliKanon, Altes Testament [mit Ausnahmen: einige Psalmen, Jesaja, Jeremia usw.]).

 

3. So manche Heilige Schrift wird zu einer solchen, weil sie von Menschen berichtet, die zuerst eine wichtige Gotteserfahrung gemacht haben: Ausgangspunkt der Tora: Moses, Neues Testament: Jesus Christus, Ausgangspunkt des Palikanon: Buddha (Buddha geht es nicht um Gotteserfahrung!), Koran: Mohammed.

 

4. Eine Fortführung der Schriften wird beendet, sodass sie nicht mehr weiter verändert werden dürfen. Bei manchen Schriften ist nicht mehr deutlich, wann das geschehen ist.

 

Buddhistische Schriften

Es gibt keinen buddhistischen Ur-Kanon. Der vorliegende indische Kanon einer Theravada-Richtung dürfte aus dem 6. Jahrhundert nach Christus stammen. Er liegt nur in Weiterführung unterschiedlichster Traditionen vor. Der Mahayana-Buddhismus hat keine einheitlichen heiligen Schriften. Die jeweiligen Schulen haben nur für sie wichtige Sutras: Chinesisch/Japanisch, Koreanisch, Tibetanisch (Kanjur/Tanjur). Mündliche Traditionen reichen bis in das 6. Jh. v. Christus zurück.

 

Hinduistische Schriften

Was die Veden betrifft: Eine Niederschrift begann wohl im 5. Jahrhundert nach (!) Christus – die aber nicht von allen Brahmanen akzeptiert wird – sie überliefern sie weiterhin mündlich. Die mündlichen Traditionen reichen bis ins 2. Jahrtausend v. Chr. zurück.

 

Jüdische / christlich rezipierte Schriften

Das Alte Testament wird in seiner hebräischen Version um das Jahr 100 nach Christus abgeschlossen worden sein. Die griechische Version ab dem 3. Jh. v. Chr. Der Kanonisierungsprozess ist unter anderem mit Hilfe der in Qumran gefundenen Schriften erkennbar. Mündliche Traditionen reichen bis zu 1400 v. Chr. zurück.

 

Christliche Schriften

Das Neue Testament wurde in einem Teil der Kirche nach einem demokratischen Prozess im 4./5. Jahrhundert n. Chr. abgeschlossen. Wesentliche Schriften waren schon im 2./3. Jahrhundert Bestandteil des Kanons. "Demokratischer Prozess" bedeutet, dass Schriften aufgenommen wurden, die in den christlichen Gemeinden anerkannt waren - und auch als solche anerkannt waren, die von Menschen verfasst wurden, die Jesus bzw. seinen Jüngern nahegestanden haben. Endgültig wurde der Kanon in der Katholischen Kirche 1546 im Zusammenhang mit der Reformation abgeschlossen. Die mündliche Tradition reicht bis in die Zeitenwende zurück.

 

Muslimische Schriften

Nach Ur-Koranen und Vorläufern wurde der Koran aus schriftlichen und mündlichen Überlieferungen durch den dritten Kalifen Uthman [+ 656] erstellt und abgeschlossen. Die mündlichen Tradition reichen bis 610 zurück.

 

5. Weil viele der Heiligen Schriften innerhalb eines langen Zeitraums entstanden sind, beinhalten sie unterschiedlichste Gattungen.

 

Veden: Hymnen, Magische Texte, Opferformeln, Helden-, Götterepen, Weisheitssätze…;

Altes Testament. Geschichtswerke, Lieder, Erzählungen, Weisheitssätze, Prophetische Bücher…;

Neues Testament: Biographische Texte, Briefe, Apokalypse…;

Buddhismus: Lehrreden, Regeln, Kommentare/Philosophische Worte...

Koran: Auch er beinhaltet unterschiedliche Gattungen, die Mohammed verwendet hat: Gebete, Rechtstexte, Hymnische Texte, Kriegsreden...

 

6. Weil diese Schriften für eine Gruppe bedeutsam geworden sind, werden sie im Gottesdienst zitiert, in Riten verwendet, im Alltag rezipiert.

 

7. Heilige Schriften werden von den Anhängern besonders verehrt, man begegnet ihnen mit Respekt, man feiert sie, weil man weiß, was man an ihnen hat. (Das trifft für manche Menschen in Mitteleuropa nicht mehr zu, was die Bibel betrifft – in vielen anderen Erdteilen weiß man die Bedeutung der Bibel zu schätzen.)

 

8. Die Heiligen Schriften dienen dem Zusammenhalt einer Gruppe und haben normative Geltung.

 

9. Weil die Schriften älter sind, bedarf es der Ausleger, Menschen, die versuchen, das Geschriebene zu verstehen. Mönche, Theologen, Imame/Rezitatoren, Priester, Brahmanen.

 

10. Aufgrund unterschiedlicher Interpretationen kann es dazu kommen, dass sich die Gruppen in Konfessionen spalten.

 

  • Hinduismus selbst ist sehr vielfältig,
  • Buddhismus: Hinayana und Mahayana - die buddhistischen Traditionen des Tibet, des Zen (Japan) usw.,
  • Christen: Orthodox, Katholisch, Evangelisch usw.,
  • Islam: Sunniten, Schiiten, Ahmadiyya, Alewiten und Alawiten usw.

 

11. Die jeweiligen Gruppen haben zu den Heiligen Schriften Auslegungswerke bzw. weiterführende Werke entwickelt und nehmen sie wichtig:

 

  • Judentum: Talmud, Midrasch,
  • Christen: Kirchenväter bzw. Luther/Bekenntnisse,
  • Buddhismus: Sutras und andere Schriften,
  • Islam: Ahadith/Sunna bzw. bei den Ahmadiyya Werke von Ghulam Ahmad.

 

12. Es gibt weitere Gruppen, die die Tradition der Heiligen Schriften aufgenommen haben, die dann jedoch nur einer Person zugeordnet werden: wie zum Beispiel der Koran (Mohammed) bzw. als „aufgefundenes Buch“ hat Bedeutung erlangt: Das Buch Mormon (Smith).